Sabine Boeddinghaus verabschiedet sich aus Bürgerschaftsfraktion
Sabine Boeddinghaus, geboren 1957, gelernte Erziehungswissenschaftlerin, ist seit bald 40 Jahren politisch engagiert, seit knapp 10 Jahren Fraktionsvorsitzende und Abgeordnete in der Hamburgischen Bürgerschaft für die Linke. Zur Bürgerschaftswahl am 2. März 2025 tritt sie nicht mehr an. Grund genug mal zurück zu blicken.
Hallo Sabine, in den letzten Jahren warst Du das Harburger Gesicht der Linken in der Hamburger Bürgerschaft. Bevor wir mal auf die verschiedenen Epochen Deines politischen Lebens eingehen: Wie bist du überhaupt zur Politik gekommen?
Sabine: Bildungspolitik mach ich schon seit dem Schuleintritt meines ältesten Sohnes, also ab 1986! Da begannen Eltern mit behinderten Kindern um einen Platz in einer Regelschule zu kämpfen! Das war eine große Bewegung, der ich mich mit voller Überzeugung und Elan angeschlossen habe. Das war der Grundstein für inklusive Schulen: also Schulen für alle Kinder, für die ja auch die Linke eintritt. Deshalb wurde ich auch über den Um- und Irrweg bei der SPD in der linken Partei aktives Mitglied!
Also war auch bei Dir die persönliche Situation – in dem Fall als Mutter – die Schnittstelle zur Politik …
Sabine: Ich habe mich seit jeher außerparlamentarisch, wie z.B. beim Hamburger Elternverein sehr engagiert. Ebenso wie in der lokalen Elterngremienarbeit in den Schulen meiner fünf Kinder. Als mehrere Bildungsorganisationen die erfolgreiche Volkspetition „Bildung ist Menschenrecht“ im Rathaus im Schulausschuss präsentierten, bin ich dann von SPD-Abgeordneten angesprochen worden, ob ich nicht Interesse hätte bei ihnen mitzuarbeiten. Daraus entwickelte sich eine sehr intensive, aber auch sehr irritierende Parteiarbeit in der SPD. Von 2004 bis 2008 war ich sogar für die SPD in der Bürgerschaft. Ich musste dann aber leider sehr schnell feststellen, dass das Ziel „Eine Schule für Alle“ zwar im SPD- Programm proklamiert wurde, als ich aber 2006 die Volksinitiative „Eine Schule für Alle“ mitbegründete, erfuhr ich eine unfassbare Gegenwehr bis hin zu brutaler Ausgrenzung. Daher beendete ich mit Ablauf der Legislaturperiode meine Mitgliedschaft und wechselte nach einer Verschnaufpause zur Linken.
Dort wurde ich dann ab 2015 zusammen mit Cansu Özdemir Fraktionsvorsitzende und war Fachsprecherin für Schule, Bildung, Jugend und Familie. Das waren durchaus spannende, ereignisreiche und interessante zehn Jahre, die nun fast hinter mir liegen.
Du bist ja in den letzten Jahren immer auch das Harburger Gesicht der Linken in Hamburg gewesen. Wie und welche Arbeit gab es im Bezirk?
Sabine: Bevor ich 2015 in die Bürgerschaft gewählt wurde, saß ich für die Linke fünf Jahre in der Bezirksversammlung. Das war eine lehrreiche Zeit, insbesondere was das Netzwerken mit Aktiven, Organisationen, Einrichtungen und Vereinen vor Ort betraf, die mir direkte Einblicke in die Bedarfe und das Leben und Arbeiten im Bezirk verschafft hat. Das hat mir in meiner späteren Arbeit immer wieder geholfen, die Erdung nicht zu verlieren. Insbesondere in der Kinder- und Jugendarbeit werden im bezirklichen Jugendhilfeausschuss wichtige Entscheidungen getroffen. 2012, als die Offene Kinder- und Jugendarbeit (OKJA) um 10% gekürzt wurde, haben wir als Linke-Fraktion die erste öffentliche Anhörung im Jugendhilfeausschuss beantragt, das war sehr eindrucksvoll!
Damit ebnest Du mir den Weg zur Bürgerschaft – also der politischen Landesebene Hamburgs. Was trieb Dich dahin und wie lief es da?
Sabine: Bildungspolitik findet ganz überwiegend auf der Landesebene statt. Das war auch meine Motivation, dann in die Bürgerschaft zu wechseln. Mit dem langjährigen und sehr dominanten Schulsenator, Ties Rabe, hatte ich wenig Freude, weil er aus meiner Sicht einen sehr autoritären und unkommunikativen Regierungsstil praktiziert hat. Das hat über die Dauer seiner Amtszeit nicht nur mich sehr frustriert hat, sondern auch viele Bildungsaktive in der Stadt. Meine große Freude war und ist, dass ich über die Jahre viele gute und verlässliche Kontakte mit Eltern, Lehrkräften und Schülervertretungen knüpfen konnte. Wir konnten zusammen ein breites Bündnis schmieden, was im letzten Sommer zu einem Fachtag „Bildungsgipfel“ eingeladen hat und die Fortsetzung mit dem Titel „Schulfriedensgipfel“ dann am 18. Januar 2025 stattfinden wird. Ich hoffe, dass dieser Gipfel seine Wirkung haben wird.
Das hoffe ich auch. Und wenn Du Bilanz ziehen würdest: wie sähe die aus?
Sabine: Ich glaube, entscheidend für die Arbeit der Linksfraktion im Parlament ist die Vernetzung mit zivilgesellschaftlichem Engagement in allen Lebensbereichen und Arbeitszusammenhängen. Aus diesem Netzwerk gilt es dann Brücken zwischen deren Anliegen und der parlamentarischen Auseinandersetzung zu schlagen. Die TAZ schrieb einmal, die Linke wäre das soziale Gewissen der Stadt. Ich denke, das trifft es in Teilen ganz gut. Wir haben mit unserer Arbeit immer wieder den Finger in die Wunden der Ungerechtigkeiten, Schwachstellen und Versäumnisse gelegt und damit enormen Druck auf das rot-grüne Regierungshandeln ausgeübt. In meinem Bereich der Kinder- und Jugendpolitik war der größte Erfolg die Einrichtung der Enquete-Kommission „Kinderschutz und Kinderrechte weiter stärken“.
Und wo siehst Du die Herausforderungen der Zukunft?
Sabine: Eine der größten Herausforderungen sind aus meiner Sicht der Kampf gegen Rechts, die Absicherung einer sozial gerechten Klimapolitik und die konsequente Bekämpfung der Armut. Außerdem bin ich fest davon überzeugt, dass sich demokratische Mitsprache und Beteiligung der Menschen auch in parlamentarischen Abläufen regelhaft abbilden muss. Ich erlebe das Parlament zunehmend als closed-shop. Das passt nicht in eine aufgeklärte, inklusive und demokratische Gesellschaft im 21. Jahrhundert!
Und was wünschst Du Dir als und für die Nachfolgenden?
Sabine: Ich wünsche ihr oder ihm ein tiefes Interesse an den Themen, die die jungen Menschen, ihre Eltern und Lehrkräfte, die Sozialarbeitenden und viele mehr umtreiben. Ich wünsche die Lust am Debattieren und Streiten um die besten Lösungen. Aber und immer wieder auch Ruheinseln, um Kraft zu tanken!
Dem schließen wir uns an! Wir danken Dir sehr für das Gespräch, vor allem aber für deine langjährige Arbeit, Dein Streiten für eine soziales und gerechtes Harburg und Hamburg!